10/15/2021
SOPHIA 2021: DIE SCHWEIZER STÄDTE IM ZENTRUM DES WANDELS
Governance, Wohnungsbau, Raumplanung, die Herausforderungen des Klimawandels, Mobilität, Digitalisierung, Tourismus... Sophia 2021 widmete sich den Fragen, welche die Städte und ihre Entwicklung in der Schweiz aufwerfen. Im Sinne eines Meinungspanoramas zu diesem Thema befragte M.I.S Trend 303 Leader (aus Wirtschaft, Politik, usw.), sowie eine repräsentative Stichprobe von 1280 Personen aus der breiten Bevölkerung.
Die Leader sind optimistischer als die Bevölkerung
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Leader die künftige Entwicklung der städtischen Gebiete im Allgemeinen optimistischer einschätzen als die Allgemeinbevölkerung. So sind 69% unter ihnen der Ansicht, dass die Städte angesichts des Klimawandels in Zukunft eher ein Teil der Lösung als ein Problem sein werden, im Vergleich zu 46% in der Bevölkerung. Zu 58% sind sie auch der Meinung, dass die Konzentration der Bevölkerung in urbanen Gebieten ein Vorteil für den Planeten Erde darstellt. Die 1280 Befragten aus der Bevölkerung glauben dafür eher, dass diese Ballung eine Gefahr (45%), oder sogar eine grosse Gefahr (13%) darstellt.
46% der Leader sind der Meinung, dass die Schweizer Städte in 10 bis 15 Jahren lebenswerter sein werden, gegenüber nur 26% der Bevölkerung (42% sind dort gar der Ansicht, dass sie weniger lebenswert sein werden).
Weniger Verkehr und Lärm, besserer Zugang zu Wohnraum und zur Natur
In der Befragung wurde ebenfalls ermittelt, welche Belastungen in der Stadt als am problematischsten wahrgenommen werden. Drei Elemente stechen eindeutig hervor (von etwa 50% bis 60% der beiden Zielgruppen genannt). An erster Stelle steht der Lärm, dicht gefolgt vom Verkehr (Staus), sowie den Miet- und Wohnungspreisen. Während die ersten beiden Aspekte von den Leadern häufiger genannt werden als durch die breite Bevölkerung, verhält es sich beim dritten Element genau umgekehrt: Die Wohnungspreise beunruhigen 60% der Bevölkerung, aber nur 51% der Leader. Es ist anzumerken, dass es hier einen tiefen politischen Graben gibt, und dass diese Problematik den Leadern auf der linken Seite mehr Sorgen bereitet (62%) als ihren Pendants der Mitte und von rechts (42%).
Darüber hinaus zeigt die Studie, dass das Bedürfnis nach Natur in der Stadt ausgesprochen gross ist: Zwei Drittel der Leader und drei Viertel der Bevölkerung sind der Meinung, dass Grünflächen und die Bepflanzung erweitert werden sollten.
Wenn die befragten Leader und die breite Bevölkerung es allein in der Hand hätten, die Städte zu verändern, so gehörten der Umweltschutz (57%, resp. 59%) und die Erschwinglichkeit von Wohnraum (49% / 55 %) zu ihren Prioritäten. Die ideale Stadt weist weite Grünflächen (wichtig für 63% der Leader und 67% der Bevölkerung), sowie viel Vegetation auf (wichtig für 57% der Leader und 71% der Bevölkerung).
Die Herausforderungen des Klimawandels
Obwohl der Umweltschutz ein zentrales Anliegen ist, finden die zum Teil sehr ambitionierten Klimaaktionspläne einiger Schweizer Städte keine breite Unterstützung. Sie werden von 33% der Leader und 31% der Bevölkerung als Wahltaktik und unrealistisch taxiert. Des Weiteren halten 30% der erstgenannten Zielgruppe und 45% der Allgemeinbevölkerung deren Ziele zwar für aufrichtig, jedoch unerreichbar. Ein weiterer interessanter Aspekt zu diesen Klimaplänen ist, dass beide Zielgruppen eher der Ansicht sind, dass sie die sozialen Ungleichheiten verstärken werden (40% der Leader, 45% der Bevölkerung), als dass sie diese verringern.
Als Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels heben sich drei Vorschläge sowohl bei den Leadern, als auch in der breiten Bevölkerung mit 65% bis 78% positiven Nennungen deutlich ab. Die erste ist der Bau von vertikalen Siedlungen, bei denen bestehende Gebäude erhöht werden, um neuen Wohnraum zu schaffen. Diese Möglichkeit wird von 27% der Leader und 25% der Bevölkerung komplett unterstützt, sowie in gemässigter Weise durch 49% der erstgenannten Zielgruppe und 43% in der Allgemeinbevölkerung. Interessant ist auch, dass eine Mehrheit der Leader und der Bevölkerung den Bau hoher Gebäude in städtischen Gebieten befürwortet (77% bzw. 54%). Der zweitwichtigste Vorschlag besteht in der Verpflichtung, alle neuen Gebäude zu begrünen und mit Systemen zur Produktion erneuerbarer Energie auszustatten (36% der Leader und 32% der Bevölkerung befürworten dies nachdrücklich). Schliesslich findet auch die Idee einer Subventionierung von Planung, Bau und Betrieb umweltfreundlicher Gebäude Anklang: 28% der Leader und 33% der breiten Bevölkerung befürworten dies komplett, und 39% der erstgenannten Zielgruppe sowie 45% der Bevölkerung sind eher dafür.
Die Befragung befasste sich ebenfalls mit der Siedlungsart, welche am besten in der Lage ist, sich an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Die Leader sind eindeutig der Meinung, dass es sich dabei um Städte von mittlerer Grösse handelt (46% der Befragten nannten diese an erster und 27% an zweiter Stelle), während die breite Bevölkerung zwischen den mittelgrossen, den kleinen Städten und dem ländlichen Raum hin und hergerissen ist. Bei beiden Zielgruppen stehen aber die Grossstädte an letzter Stelle.
Ein Graben zwischen Stadt und Land?
Die Kluft zwischen Stadt und Land war in den letzten Jahren immer wieder ein Thema, insbesondere im Nachgang verschiedener eidgenössischer Abstimmungen. Interessanterweise glauben nur gerade 6% der Leader und 5% der Bevölkerung, dass es einen solchen nicht gibt; die Diskussionen rund um das Thema scheinen damit zumindest teilweise auf der Realität zu beruhen. Für 49% der Leader und 44% der Bevölkerung wird sich dieser Graben in den nächsten 10-15 Jahren vergrössern, während nur 5% der erstgenannten Zielgruppe und 11% der letzteren glauben, dass er sich verringern wird.
Mobilität in der Stadt: ein heikles Thema
Was die Mobilität in städtischen Gebieten betrifft, so zeigt sich, dass nur sehr wenige der ins Auge gefassten Lösungen von allen unterstützt werden. Nur zwei Vorschläge scheinen die Leader und die Bevölkerung zu einen: Fussgängerzonen im gesamten Stadtzentrum und die Förderung von Carsharing-Systemen. Diese werden von etwa 7 von 10 Befragten befürwortet, von der Hälfte sogar stark. Andere Vorschläge wie die Erhöhung der Parkgebühren, die generelle Einführung von Tempo-30-Zonen, das Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen bis 2030, oder die Reduzierung der Anzahl Parkplätze werden von beiden Zielgruppen eher abgelehnt. Eine interessante Ausnahme stellt der kostenlose öffentliche Verkehr dar, der von fast 70% der Bevölkerung befürwortet wird, gegenüber 42% bei den Leadern.
Neue Technologien: eine grosse Chance für Schweizer Städte
Die Leader und die Bevölkerung sind ziemlich zuversichtlich, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verbesserung der Lebensqualität in den Städten beitragen werden (77% in der erstgenannten und 62% in der zweiten Zielgruppe).
Zur Methodik dieser Erhebung
Wie in den Vorjahren deckt die Studie zwei verschiedene Zielgruppen ab. Einerseits die breite Bevölkerung: 542 Romand(e)s, 526 Deutschschweizer/innen und 212 Tessiner/innen ab 18 Jahren wurden hierzu befragt. Dank den disproportionalen Stichprobengrössen kann die Fehlermarge für alle drei Sprachregionen möglichst niedrig gehalten werden (± 4,3% für die Deutschschweiz, ± 4,2% für die Romandie und ± 6,7% für das Tessin). Die Gewichtung für die Gesamtresultate (Fehlermarge ± 2,7%) berücksichtigt selbstverständlich das reale demographische Gewicht jeder Region. Die 1'280 Personen wurden vom 11. bis 24. August 2021 mittels eines Online-Fragebogens befragt.
SOPHIA konsultiert zudem 300 in der Schweiz tätige Opinion Leader. Diese werden aufgrund ihrer Reflexionen zur Gegenwart und Zukunft der Schweiz, ihrer Stellungnahmen in der Öffentlichkeit und ihrer Bedeutung für die Schweiz selektiert. Es handelt sich um eine repräsentative Auswahl aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Erziehung, sowie Kultur und Politik, und zwar sowohl aus der deutschsprachigen, wie auch aus der lateinischen Schweiz. Davon ist ein Drittel international aktiv und ein weiteres Drittel übt ein politisches Mandat auf Gemeinde-, Kantons- oder Bundesebene aus. Sie wurden von Mitte Juni bis Ende August 2021 mit einem online oder per Post versandten Fragebogen befragt. Die maximale Fehlermarge bei dieser Stichprobe liegt bei ± 5,7%.